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Bereit für Industrie 4.0?

Berufsanforderungen ändern sich durch den Fortschritt in der Automation rapide – in der ganzen Industrie. Welche Fähigkeiten werden bei der vierten industriellen Revolution gefragt sein?

Bei Festo, einem in Familienbesitz befindlichen Automatisierungsspezialisten aus Süddeutschland, ist die Zukunft in Raum 55.4.275 ausgestellt. Dort betreibt das Unternehmen seine Cyber Physical Factory – ein Trainingscamp für die Fähigkeiten, die rund um die vierte industrielle Revolution wichtig sind. Das Aus- und Weiterbildungszentrum liegt unweit der Produktionsbereiche und ist für Arbeiter genauso wie für Manager gut zu erreichen. Keine Lerneinheit braucht länger als 30 Minuten – das unterbricht Fertigungsprozesse kaum.

Festo nennt diese neue Lernmethode „One Point Lessons“. Dabei wird den Mitarbeitern beigebracht, genau ein Problem aus dem realen Leben mittels ihrer Fähigkeiten in Programmieren, Datenmanagement oder systematischem Denken zu lösen. Die einzelnen Lektionen hat festo Didactic entwickelt, ein von der Firma für die lebenslange Aus- und Weiterbildung ihrer 19.000 Beschäftigten gegründetes beratungsunternehmen.

Die Aus- und Weiterbildung der eigenen Angestellten wird eine Schlüsselherausforderung der vierten industriellen Revolution sein, meint Markus Lorenz, Partner der Boston Consulting Group (BCG). Denn Roboter werden einfache Arbeiten übernehmen während Fabriken und Lieferketten ständig digitaler werden. Menschen kontrollieren dann diese Abläufe und müssen dafür Wissen in verschiedenen Disziplinen anhäufen und sich an ständig wechselnde Aufgabenfelder anpassen können.

Fortgeschrittene Robotik

Die Untersuchung Global Industry 4.0 von PwC aus dem Jahr 2016 sieht das genauso: „Die größte Herausforderung für führende Industrieunternehmen ist nicht die Technik – es ist der Mensch.“ Das World Economic Forum (WEF) geht derzeit davon aus, das sich in den nächsten vier Jahren 35 Prozent der heute bei Mitarbeitern für wichtig erachteten Qualifikationen vollständig verändert haben. „Im Jahr 2020 hat die vierte industrielle Revolution fortgeschrittene Robotertechnik, autonome Transportwege, künstliche Intelligenz und lernfähige Maschinen sowie weit fortgeschrittene Materialtechnik, Biotechnologie und Gentechnik hervorgebracht“, sagt das WEF vorher.

Dies transformiert auch Lebens- wie Arbeitswelt. Experten sind sich einig, dass Routinearbeiten zuerst verschwinden, und zwar in der Industrie wie dem Dienstleistungssektor. „Kreativität wird eine von drei Schlüsselqualifikationen sein, die Arbeitnehmer in der Zukunft benötigen“, lautet die Vorhersage des WEF. Die anderen beiden sind Problemlösungskompetenz und kritisches Denkvermögen – genau das, was Algorithmen und Roboter bis jetzt weniger gut können.

Und Menschen werden weiterhin gebraucht, um die Roboter zu überwachen – zumindest auf absehbare Zeit. „Komplette Automation ist nicht realistisch“, so Ingo Ruhmann, Sonderberater für IT-Systeme des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Und weiter: „Technologie wird die Produktivität hauptsächlich mit Hilfe von physischen und digitalen Assistenzsystemen verbessern, nicht durch den Ersatz menschlicher Arbeit.“

Die Managementberatung BCG sieht komplett neue Berufsfelder entstehen, beispielsweise den Roboterkoordinator, der die Automaten in der Produktion überwacht und rechtzeitig auf Fehlfunktionen oder Fehlermeldungen reagiert. Eine der wichtigsten Aufgabegebiete für Menschen wird künftig der Industriedatenspezialist sein – ein Experte, der Daten ausliest und aufbereitet, diese einer intensiven Analyse unterzieht und die Ergebnisse dazu nutzt, Produkte und Produktionsprozesse zu verbessern.

Abschlüsse werden unwichtiger

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Einige Experten nehmen an, dass universitäre Bildungsgrade zukünftig in ihrer Bedeutung hinter persönlichen Fähigkeiten zurückbleiben. „Wir brauchen ein radikal anderes Denken und Strukturen, die auf Fähigkeiten abheben und nicht auf Qualifikationen. Das ist ein Ansatz für einen neuen Arbeitsmarkt ähnlich der Dating-Plattform Tinder“, erläutert Alexander Spermann, ehemaliger Direktor für deutsche Arbeitsmarktpolitik am Kölner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA).

Dazu nennt er ein Beispiel: Statt nach einem Mechaniker mit einem bestimmten Reparaturservicezertifikat zu suchen, sollten Firmen sich eher nach Arbeitnehmern umschauen, die offen für Neues sind, kombiniert mit „Erfahrung beim reparieren von Maschinen während der laufenden Produktion, speziellen Kenntnissen an einer bestimmten Gerätemarke und Fertigkeiten bei der Nutzung vordefinierter IT-Schnittstellen.“

Das passt genau zur WEF-Analyse, die Kreativität, Problemlösungskompetenz und kritisches Denkvermögen als die drei Schlüsselqualifikationen in der Industrie des Jahres 2020 herausstellt. Qualitätskontrollen sind nicht länger notwendig, außer vielleicht in der High End-Luxusindustrie, da Maschinen diese Arbeit Schritt für Schritt übernehmen – und sie wahrscheinlich besser erledigen können als der Mensch. Entsprechend sollten Arbeitnehmer ihren Schwerpunkt auf die Dinge verlagern, die Maschinen bis jetzt nicht beherrschen. Dazu gehört auch emotionale Intelligenz, also die Fähigkeit, Emotionen wahrzunehmen und entsprechend zu reagieren. Übrigens eine Fertigkeit, die 2015 noch nicht einmal auf der Liste zukünftiger Anforderungen stand.

Dieser neue Fähigkeitskatalog stellt vor allem die Mitarbeiter in Produktionslinien vor große Herausforderungen, wie die BCG-Studie „Mensch und Maschine in der Industrie 4.0“ darstellt. Demnach müssen Arbeitnehmer deutlicher offener für Veränderungen sein, größere Flexibilität bei der Anpassung an neue Tätigkeiten und Arbeitsumgebungen besitzen und sich an ein kontinuierliches, interdisziplinäres Lernen gewöhnen.

Unternehmen werden ihre eigenen Trainings drastisch verbessern müssen sagt Theodor Niehaus von Festo Didactic voraus. „Es wird ein riesiger Fortbildungsbedarf in der Industrie entstehen.“ Markus Lorenz, Partner bei BCG und Autor der Studie, stuft Fortbildung als ein kommendes lukratives Geschäftsfeld ein. Ensprechend überlegt BCG selber auf diesem Markt „Learning Factories“ anzubieten.

Angesichts des Grades der absehbaren Veränderungen wird klar, dass die Aus- und Weiterbildung für die vierte industrielle Revolution nichts ist, was ausschließlich den Personalabteilungen überlassen werden sollte. Sie wird auch zur Aufgabe für die CEOs. Trotzdem gibt es eine ganze Menge Dinge, die auch der Einzelne zur Verbesserung der eigenen Fähigkeiten tun kann. So sind beispielsweise viele Experten der Meinung, dass Kreativität nicht nur ein schlummerndes Talent ist, sondern regelrecht zu erlernen ist. Bücher über das „Wie“ in diesem Punkt füllen inzwischen ganze Bibliotheken.

Einige dieser Druckwerke sind besser, einige schlechter, aber alle fokussieren sich auf eine wenige zentrale Ansätze: Offenheit gegenüber allem Neuen, Fragen stellen, sich ständig umschauen und „Erste Male“ schaffen: Wann haben Sie zuletzt etwas zum ersten Mal in Ihrem Leben gemacht?

Dieser Beitrag wurde zuerst in Delivered. The Global Logistics Magazine veröffentlicht.

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