Ein ereignisreiches Jahr 2022 biegt auf die Zielgerade ein. Deshalb beleuchten wir in der Dezember-Ausgabe der DHL Road Freight Market News nicht nur die Entwicklung der Wirtschaft und des Straßengüterverkehrs in Europa zum Jahresende, sondern lassen ebenso das gesamte Jahr Revue passieren und geben außerdem einen Ausblick auf das Jahr 2023. Informationen zu den Trends im Oktober können Sie wie immer in unserer letzten Ausgabe nachlesen.
EU-Wirtschaft 2022: Folgen des Ukraine-Kriegs konterkarieren Optimismus des Jahresbeginns
Die Auswirkungen der Corona-Krise auf die europäische Wirtschaft mit immensen Lieferkettenstörungen und langen Lockdowns, schienen zu Beginn des Jahres weitestgehend überwunden. Getrieben von den Nachholeffekten der Corona-Pandemie wurde das neue Jahr, gemäß der Erwartungen, mit einem kontinuierlichen Wirtschaftswachstum eröffnet. Dies schenkte Hoffnung auf eine allumfassende wirtschaftliche Erholung nach den herausfordernden Corona-Krisenjahren.
Mit dem Beginn des russischen Einmarschs in die Ukraine Ende Februar verblasste der anfängliche Optimismus schnell. Ein Krieg, der nicht nur durch seine geographische Nähe zu den Staaten der Europäischen Union, sondern vor allem durch die große Abhängigkeit zu russischen Energieimporten die sich wiederaufbauende ökonomische Prosperität vor neue Herausforderungen stellte. Eine große Gefahr wurde vornehmlich in der nicht abgesicherten Energieversorgung gesehen, welche signifikante Auswirkungen auf die europäische Industrie, und zwar insbesondere auf energieintensive Wirtschaftszweige und das produzierende Gewerbe, haben würde. Die Sorge war groß, dass sich der Mangel an energetischen Rohstoffen unmittelbar auf die Wirtschaftsleistung niederschlagen und der inflationsbedingte Kaufkraftverlust die Wirtschaft in eine Rezession stürzen würde.
Entgegen den Befürchtungen einer unmittelbar drohenden Rezession, die mit dem Beginn des Kriegs aufkamen, setzte sich der Wachstumstrend über das erste Halbjahr fort. Zentraler Treiber dafür waren weiterhin die Nachholeffekte, welche besonders stark im privaten Konsum zum Tragen kamen. Zwar wurde dieser Wachstumstrend zunehmend von den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die europäische Wirtschaft mit dem Wechsel in die zweite Jahreshälfte 2022 ausgebremst, jedoch nicht in der zunächst befürchteten Intensität. Nach einem Rückgang der erwarteten europäischen Wirtschaftsleistung im dritten Quartal, prognostiziert S&P Global (früher IHS Markit) für 2022 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in Europa von rund 3,5 Prozent. Im Vergleich zur Vormonatsprognose ist dies ein Anstieg von etwa 0,3 Prozentpunkten.
Möglicher Inflationshöhepunkt zum Ende des Jahres erwartet
Deutlich vom Ukraine-Krieg und den Restriktionen in der Energieversorgung gebeutelt sind die europäischen Verbraucherpreise. Die jährliche Inflationsrate hat sich laut Eurostat, dem Statistischen Bundesamt der Europäischen Union, von 5,8 Prozent im Februar sukzessiv bis zum Hoch im Oktober (10,7 Prozent) fast verdoppelt, wobei sich im November die erste Entspannung seit Monaten abzeichnet: Nach ersten Schätzungen erwartet Eurostat im November eine jährliche Inflationsrate von 10,0 Prozent. Die höchsten Raten wurden dabei erneut in Lettland (21,7 Prozent), Estland und Litauen (je 21,4 Prozent) gemessen. In Deutschland wird mit einem Anstieg der Verbraucherpreise von 11,3 Prozent gerechnet, ein leichter Rückgang von 0,2 Prozentpunkten, verglichen mit den Oktobererwartungen von 11,6 Prozent.
Der enorme Inflationsanstieg steht dem zwar gebremsten jedoch weiterhin kontinuierlichen Wirtschaftswachstum in 2022 gegenüber. Dennoch gehen die meisten Experten nach wie vor mittel- bis langfristig von einem wirtschaftlichen Abschwung in der Europäischen Union aus – besonders trifft dies für jene Nationen mit einem starken Industriesektor, wie Deutschland und Italien, zu – jedoch wird vor allem im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung der jährlichen Inflationsrate auf eine abgeschwächte Härte der Rezession gehofft. Diese Hoffnungen basieren neben dem erwarteten Inflationsrückgang vor allem auf dem privaten Konsum. Dieser ist besonders in Deutschland, dem inflationsgeschuldetem Kaufkraftverlust zum Trotz, weiterhin stark. Zudem wird darauf gebaut, dass Entlastungspakete oder Strom- und Gaspreisbremsen, die in Deutschland und anderen EU-Ländern beschlossen wurden, dem Kaufkraftverlust weiter entgegenwirken und so die Konjunktur stärken.
Ausblick 2023: Inflationsraten weiterhin auf hohem Niveau bei fortbestehendem Rezessionsrisiko
Was sind die wirtschaftlichen Aussichten für das kommende Jahr? Im Hinblick auf die jährliche Inflationsrate scheinen sich Ökonomen, u.a. auch die EU-Kommission einig: Es ist von einem Rückgang in 2023 auszugehen, auch wenn die Rate mit geschätzten 7,0 Prozent weiterhin deutlich über dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank liegt. Mit einer Normalisierung ist der Kommission zufolge erst 2024 zu rechnen. Prognosen zu folge wird die jährliche Inflationsrate dann um die 3,0 Prozent betragen.
Trotz der positiveren Aussichten für die Inflationsentwicklung im Euroraum, gilt es zu beachten, dass neue Hilfspakete auf europäischer oder nationaler Ebene zum Ausgleich der hohen Energiepreise zwar kurzfristig die Inflation abmildern, langfristig ein Preisniveau auf Vorkriegsniveau dennoch als unwahrscheinlich gilt.
Darüber hinaus ist für 2023 aktuell kein Ende der kriegerischen Auseinandersetzung in der Ukraine in Sicht und damit auch kein Ende der fortwährenden Belastung für die industrielle Produktion und der Wirtschaftsleistung insgesamt. Somit dürfte im kommenden Jahr ökonomisch das eintreten, was sich bislang nur verschoben hatte: der wirtschaftliche Abschwung. In welchem Ausmaße allerdings, darüber sind sich Experten aktuell noch uneinig. Laut EU-Kommission bspw. könnte das BIP 2023 nur noch um 0,3 Prozent wachsen (EU und Euro-Raum) und Anfang 2023 sogar zunächst schrumpfen. Es wird davon ausgegangen, dass die größte Bedrohung für die europäische Wirtschaft weiterhin potenzielle Energieengpässe sowie die andauernde, angespannte Situation auf den Rohstoffmärkten sein werden.
Es gilt festzuhalten, dass trotz schwieriger weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen durch die Corona-Ukraine-Doppelkrise die Wirtschaftsleistung in 2022 weiter anstieg, wen auch nur mäßig. Die Unsicherheit bzgl. des weiteren Kriegsverlaufs, die Energiepreiskrise und die steigenden Zinsen schwächen die konjunkturellen Erwartungen in 2023 merklich ab und halten das Rezessionsrisiko hoch. Grundsätzlich gelten vor dem Hintergrund der weiterhin instabilen geopolitischen Lage sämtliche wirtschaftlichen Prognosen als unsicher und mögliche weitere wirtschaftliche Störungen sind nur schwer vorhersehbar.
Produktionsrückgang macht sich im Straßengüterverkehr bemerkbar
Die wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen waren in 2022 auch deutlich im Straßengüterverkehrsmarkt spürbar. Nachdem besonders das erste Halbjahr 2022 von signifikanten Kapazitätsengpässen entlang aller Verkehrsträger geprägt war, ist seit der traditionellen Sommerpause eine Entspannung zu erkennen. So kommt es bspw. in der Seefahrt zur allmählichen Auflösung des Containerschiff-Staus und folglich zu einem Rückgang der Frachtraten. Auch im Straßengüterverkehrsmarkt ist eine Auflösung der im ersten Halbjahr dominierenden kapazitativen Engpasslage zu erkennen. Grund hierfür sind größtenteils die geringeren Volumen im Markt. Wie renommierte Marktteilnehmer berichten, sei der Rückgang an produzierten Gütern deutlich spürbar und es wird vor einer Verfestigung des Trends gewarnt.
Ein deutlicher Indikator für diese Abschwächung ist die untypische Kapazitätsentwicklung im Markt, die aktuell wahrzunehmen ist. In der Vorweihnachtssaison verknappen sich regulär die im Markt verfügbaren Kapazitäten durch die stark steigende Nachfrage nach Transportdienstleistungen. TIMOCOM meldet jedoch eine gegenläufige Entwicklung. So ist dem Index ein Anstieg an Kapazitäten und damit eine Entspannung der Engpasslage zu entnehmen. Das Verhältnis von Frachten zu angebotenem Laderaum lag im November bei 64:36 (Oktober: 72:28). Ein vergleichbares Verhältnis wurde zuletzt im Corona-Winter 2020 verzeichnet. Anders als damals und damit entgegen der aktuellen Situation in der Seefahrt, sinken die Raten innerhalb des Straßentransportsektors allerdings nicht und bleiben trotz einer Entspannung der Kapazitäten im Markt unverändert hoch.
Zwar lag der gewichtete durchschnittliche Dieselpreis für die 27 europäischen Mitgliedsstaaten in Kalenderwoche 48 laut Eurostat bei 1,80 Euro pro Liter und damit 17 Cent unter dem zuletzt berichteten Dieselpreis im Oktober (1,97 Euro). Doch dieser Rückgang schlägt sich aktuell noch nicht in den Frachtraten nieder.
Was ist 2023 im Straßentransportsektor zu erwarten?
Basierend auf der allgemein rückläufigen Wirtschaftsleistung ist davon auszugehen, dass sich die Entwicklung, die zum Jahresende 2022 wahrzunehmen ist, innerhalb des Straßentransportmarktes – ähnlich wie in anderen Logistiksektoren - im neuen Jahr fortsetzen beziehungsweise weiter verschärfen wird: Der europäische Straßengüterverkehrsmarkt wird 2023 mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer sinkenden Nachfrage konfrontiert werden. Wie sich diesbezüglich die Kapazitäten entwickeln werden, ist letztlich auch davon abhängig, welcher Effekt stärker zum Tragen kommt: die Kapazitätszunahme durch einen nachfragebasierten Volumenrückgang oder der Kapazitätsmangel durch einen Rückgang an Lkw-Fahrern?
Sicher ist, dass langfristig das Problem des Fahrermangels bestehen bleiben und sich sogar verschärfen wird: Nach pessimistischen Schätzungen könnten über die Hälfte der Fahrerstellen in den nächsten fünf Jahren unbesetzt bleiben, was insbesondere in Frankreich, Deutschland, Spanien, Rumänien, Polen und Dänemark spürbar sein wird. Ein möglicher Corona-Ausbruch im Winter könnte die Lage weiter verschärfen, wenn sich der Krankenstand bei Fahren oder Lagerlogistikern erhöhen dürfte.
Analog der Kapazitätsentwicklung ist auch die Entwicklung der Preise von Straßentransportleistungen im Jahr 2023 aktuell schwer vorhersehbar. Arbeitnehmerlöhne werden, insbesondere auch durch den Inflationsdruck, weiter steigen und auch der Preisdruck auf Rohöl und Diesel dürfte sich fortsetzen.
Inflation, Kraftstoffpreise und der Fahrermangel werden 2023 (und darüber hinaus) entscheidenden Einfluss auf die Betriebskosten und die Straßenfrachtraten ausüben – wie sie sich aber konkret entwickeln werden, hängt von den vielen oben geschilderten, unvorhersehbaren Faktoren ab. Deshalb ist jede Prognose für den europäischen Straßentransportmarkt vage.
In unvorhersehbaren Zeiten sind flexible Lösungen wichtiger denn je. Trotz aller Unwägbarkeiten können Sie sich darauf verlassen, dass DHL Freight das Marktgeschehen in der Krise besonders aufmerksam verfolgt und evaluiert, um jederzeit angemessene Schlussfolgerungen ziehen zu können: für eine immer gleich hohe Transportqualität.
Das nächste Update mit Details zum Start des Jahres 2023 in der Wirtschaft und dem Straßentransportmarkt wird Anfang Februar erscheinen.