Die europäische Logistikbranche steht vor großen Herausforderungen, die nur gemeinsam zu lösen sind.
Der Bundesverkehrswegeplan, europäische Infrastrukturprobleme, die Digitalisierung und die Umweltpolitik – alles Felder, die Deutschlands einzige verkehrsübergreifende Wirtschaftsvereinigung im Mobilitätssektor umtreiben. Der Präsident des Deutschen Verkehrsforums, Dr. Ulrich Nußbaum, im Interview mit DHL Freight Connections.
Die Diskussionen um den Bundesverkehrswegeplan werden in den Bundesländern, aber vor allem regional zum Teil heftig geführt. Wie sehen Sie die Infrastrukturplanung des Bundes?
Zunächst möchte ich betonen, dass der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) die richtigen Schwerpunkte setzt. Erhalt kommt vor Neubau und die Engpassbeseitigung steht im Vordergrund. Wir kommen damit weg von der „Wunschlisten-Mentalität“ des vorherigen BVWP. Wichtig ist nun, dass Projekte mit bundesweiter Bedeutung ganz vorne bleiben. Aber erst mit einem verstetigten und überjährigen Budget, das projektscharf über mehrere Jahre zugewiesen wird, kann der Investitionshochlauf des Bundes Wirkung zeigen. Nicht verbaute Mittel müssen dabei im Folgejahr zusätzlich zur Verfügung stehen und dürfen nicht durch die Hintertüre in nachrangige Projekte fließen.
Logistik braucht Infrastruktur, aber gerade in Europa ist der Platz knapp – welche Konzepte haben Sie für die Transporte der Zukunft?
Wir brauchen in Europa ein durchgängig befahrbares Netz an Straßen, Schienen und Wasserstraßen bei den Hauptverkehrsadern im Güterverkehr. Und wir dürfen die Betriebszeiten der Luftfrachtdrehkreuze nicht noch weiter einschränken. Die EU-Mitgliedsstaaten stehen deshalb in der Pflicht, die transeuropäischen Verkehrsnetze auszubauen und gut zu erhalten. Insbesondere im Schienenverkehr muss es möglich werden, problemlos von einem Land ins andere zu fahren, ohne die gesamte Lok oder ihre Technik zu ändern. Dringend notwendig ist auch ein „One-Stop-Shop“ für die Lkw-Maut: ein einziges Endgerät und eine einzige Abrechnung. Zudem müssen der kombinierte Verkehr gestärkt und die Verkehrswege digital aufgerüstet werden.
Alle reden von Schlagworten wie Industrie 4.0 und Internet der Dinge – welche Auswirkungen hat die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft auf den Verkehr der Zukunft?
Die Digitalisierung ist ein „Game Changer“ – sie wird den Mobilitätssektor und ganz besonders die Logistik fundamental verändern: Die Häfen und Flughäfen beispielsweise sind mit Unternehmen wie Dakosy Vorreiter bei der lückenlosen Informationskette, die den physischen Verkehr mittlerweile begleitet. Alle Akteure im Hafen oder Flughafen vernetzen sich miteinander und erhalten die notwendigen Daten – auch über Unternehmens- und Verkehrsträgergrenzen hinweg. Noch weiter gedacht wird die Digitalisierung mit der Automatisierung der Verkehrsmittel. Die Entwicklungen der Logistik 4.0 bietet neue Chancen, Geschäftsfelder, Mehrwert für die Nutzer, mehr Sicherheit und Nachhaltigkeit. Aber sie stellen die deutsche Verkehrswirtschaft und die Verkehrspolitik vor große Herausforderungen, zum Beispiel beim Datenschutz, beim Haftungsrecht oder bei autonomen Fahrzeugen.
Auch der Transportsektor muss seinen Beitrag leisten um den Klimawandel aufzuhalten, wie soll das aus Ihrer Sicht funktionieren?
Es muss an mehreren Stellschrauben gedreht werden: aerodynamische Veränderungen am Fahrzeug und Trailer, automatisiertes Fahren, mehr kombinierter Verkehr, Weiterentwicklung neuer Antriebe und Kraftstoffe und natürlich die Vernetzung und Digitalisierung von Fahrzeugen und Infrastruktur. Ein Beispiel: Beim „Forecasting“ können Logistiksysteme aufgrund von Wetter- und Veranstaltungsdaten die Nachfrage von Schnellimbiss-Filialen vorhersagen und damit automatisch die Lieferungen der exakt erforderlichen Mengen an Hamburgern und Pommes Frites einleiten. So werden Leerfahrten vermieden.
Wie sehen Sie die Auswirkungen der zunehmenden globalen politischen Instabilitäten auf den deutschen und europäischen Verkehrssektor?
Innerhalb Europas und Deutschlands haben wir seit Jahren hohe Anforderungen an einen sicheren Warentransport. Der Logistiksektor ist bei den Sicherheitsregimen mit Ansätzen wie dem „bekannten Versender“ Vorreiter. Wichtig ist, dass Politik, Behörden und Wirtschaft weiterhin eng zusammenarbeiten, um den Warenstrom im Fluss zu halten. Sicherheitskontrollen sind wichtig, sie sollten aber nicht pauschal sein, sondern stichprobenartig auf Basis der übermittelten Logistikdaten erfolgen. Dies wird heute leider nur zum Teil so gemacht.
Das Motto des Deutschen Verkehrsforums ist „Mobilität für Deutschland“. Die Wirtschaftsvereinigung setzt sich verkehrsträgerübergreifend für ein leistungsfähiges, kundenorientiertes, und nachhaltiges integriertes Verkehrssystem ein. Ihm gehören Unternehmen und Verbände, Produzenten, Dienstleister, Berater und Vertreter der Nutzer an. Die rund 170 Mitglieder bilden die gesamte Wertschöpfungskette im Mobilitätssektor ab. Ein weiteres Ziel ist die Verbindung der Verkehrswirtschaft mit anderen Branchen wie Energie, Bau, Telekommunikation, Finanzen und Beratung.