Die USA versinken im Stau, weil Straßen und Brücken zunehmend verfallen. Mit dem FAST-Act soll sich das nun ändern.
Autofahrer im US-Bundesstaat Rhode Island zahlen gleich doppelt – nicht nur Steuern und Versicherung, sondern jährlich auch noch 476 Dollar für Reparaturen, die durch den schlechten Zustand der dortigen Straßen notwendig werden. Diesen statistischen Mittelwert hat Gina Raimondo, Gouverneurin des Neuengland-Staates, ausrechnen lassen. Schlaglöcher, kaputte Brücken, bröckelnde Fahrbahnränder – das öffentliche Straßennetz ist in einem miserablen Zustand. 411 der 757 Straßenüberführungen weisen ernsthafte Strukturprobleme auf. Und der flächenmäßig kleinste US-Staat ist nur die Spitze des Eisbergs – Amerikas Infrastruktur zerfällt zusehends.
Fallender Beton
Alleine die Anzahl kaputter Brücken ist atemberaubend. Rund 60.000 sind nach Recherchen von CNN dringend reparaturbedürftig. Die amerikanischen Bundesgesetzgeber haben ein prominentes Beispiel direkt vor der Nase: Die Arlington Memorial Bridge, keine fünf Kilometer vom Kapitol in Washington D.C. entfernt, muss eventuell in fünf Jahren für den Straßenverkehr gesperrt werden. Bereits jetzt fallen Betonbrocken in den Fluss, die Stützen stammen aus dem Jahr 1932 und gehören komplett erneuert. Nicht auszudenken, wenn die täglich 68.000 Fahrzeuge auf andere Routen in der notorisch verstopften Hauptstadt ausweichen müssten. Die zuständige Nationalparkverwaltung schätzt die Sanierungskosten alleine für dieses Bauwerk auf 250 Millionen US-Dollar.
Eine Geldfrage
Die Verkehrsinfrastruktur in den Vereinigten Staaten leidet unter einer chronischen Unterfinanzierung, gepaart mit einem schwer überschaubaren Wirrwarr an örtlichen, bundesstaatlichen und Bundeszuständigkeiten. Zur Finanzierung hat Präsident Herbert Hoover 1932 die Benzinsteuer eingeführt, die bis heute ausschließlich für Straßenerhalt und -ausbau verwendet wird. Nur stammt die letzte Anhebung dieser Abgabe aus dem Jahr 1993. Seitdem liegt die Höhe unverändert bei 18,4 Cent pro Gallone. Für den ehemaligen Transportminister Ray LaHood viel zu wenig. „Unsere Infrastruktur sieht aus wie in einem Dritte-Welt-Land. Um das zu beheben, gibt es einen einfachen Weg, nämlich die Benzinsteuer anzuheben!“
Eine Billion Dollar
Für den Abgeordneten Bill Shuster ist das aber nicht die finale Lösung, denn „selbst eine Steuererhöhung löst das langfristige Finanzierungsproblem nicht.“ Alleine für marode Brücken veranschlagt der Berufsverband amerikanischer Bauingenieure etwa 76 Milliarden Dollar Sanierungskosten. Und damit ist noch keine einzige Straße neu gebaut, kein neuralgischer Verkehrsschwerpunkt entlastet. Mit weitreichenden Folgen, denn Amerika versinkt bereits jetzt im Stau. Die Bauingenieure haben auch dafür die Kosten ausrechnen lassen: Etwa eine Billion Dollar verlieren amerikanische Unternehmen innerhalb der nächsten acht Jahre nur durch Staus, Umleitungen und andere Verkehrsbehinderungen.
Neues Finanzierungsgesetz
Immerhin, ein Lichtstreifen am Horizont ist sichtbar. Zum vergangenen Jahreswechsel verabschiedete der Kongress den sogenannten FAST-Act (Fixing America’s Surface Transportation Act), ein auf fünf Jahre angelegtes, 305 Milliarden Dollar schweres Investitionsprogramm für den Straßenbau, die Sicherheit und den öffentlichen Nahverkehr. Seitdem hat die Federal Highway Administration als zuständige Bundesbehörde mit Hochdruck begonnen, die dringendsten Projekte zu erfassen und Richtlinien für die Förderung zu erarbeiten. Die US-Handelskammer begrüßt ausdrücklich die bisher getroffenen Maßnahmen und das Gesetz selbst. „Das Gesetz bietet langfristige Finanzierungs- und Planungssicherheiten für wichtige Straßenbauprojekte“, so Bruce Josten, Executive Vice President Government Affairs, in einem Brief an Kongressmitglieder. Aber: „Letztlich ist diese Maßnahme nicht ausreichend, um alle wichtigen Projekte anzugehen. Der Kongress muss überlegen, wie er auch langfristig die Kosten für eine moderne Straßeninfrastruktur aufbringen kann. Das beinhaltet auch eine eventuelle Erhöhung der Benzinsteuer!“
Vielleicht braucht Amerika einen „New Deal“ für sein Straßennetz. Das wäre insofern passend, als dass viele der maroden Bauwerke genau aus jener Zeit des New Deal von Franklin D. Roosevelt stammen, der die USA nicht zuletzt auch durch Infrastrukturmaßnahmen aus der Weltwirtschaftskrise führte.
In den Vereinigten Staaten gibt es zwei große Straßensysteme, die sich in Alter und Ausbauzustand deutlich unterscheiden. Das eine sind die sogenannten „Numbered Highways“, deren offizielle Bezeichnung „U.S. Route XX“ lautet. Die in der Regel einspurig ausgebauten Straßen durchziehen die gesamten USA und haben 253.000 Kilometer Gesamtlänge. Gebaut wurden sie zwischen 1926 und 1956 mit Schwerpunkt in den mittleren 1930er Jahren. Für die Erhaltung sind die einzelnen Bundesstaaten und die lokalen Behörden zuständig. Ab 1956 erfolgte dann der Ausbau des Interstate-Systems unter Präsident Dwight D. Eisenhower. Diese bisher 77.000 Kilometer sind in der Regel mehrspurig ausgelegt, werden von den Bundesstaaten unterhalten und zu 70 Prozent aus den Einnahmen der Fuel Tax finanziert.